Raphael M. Bonelli

Im Gegensatz dazu kommt „Immanenz“ vom lateinischen „immanere“, was „darin bleiben“ oder „anhaften“ bedeutet. In der Philosophie ist Immanenz der Gegenbegriff zur Transzendenz und bezeichnet das in den Dingen Verbleibende, das die Dinge nicht zu übersteigen vermag. In diesem Sinn bedeutet „Selbstimmanenz“: der Mensch, der nicht über sich selbst hinauskommt, der nicht zur Selbsttranszendenz findet. Man muss sich selbst übersteigen, um Anteil am größeren Ganzen zu haben; dort findet man sich erst richtig selbst.

Viele Narzissten können den Kopf nicht nach oben wenden. Sie bleiben immer tief unten im Diesseits – in ihrer Selbstimmanenz. Irgendwie logisch: Je mehr man sich selbst in den Himmel hebt, desto weniger Platz ist dort für Höheres. Dem Narzissten ist der Weg nach oben versperrt. Er bleibt beschränkt auf die eigenen vier Wände. Seine Flügel sind gestutzt; er flattert wie eine Henne, obwohl er wie ein Adler aufsteigen könnte.

Der selbsttranszendierende Mensch kann seine Augen vom Boden heben und in höhere Sphären blicken, ist in der Lage, sich einer größeren Sache zu widmen, indem er ihr dient. Dieses Sich-in-den-Dienst-Stellen, das Erleben des Ich als dem Größeren untergeordnet, ist für die psychische Gesundheit enorm wichtig. Psychisch gesund ist derjenige, der sich relativieren kann, der sich von sich selbst distanziert und seine Aufmerksamkeit auf etwas lenkt, das größer ist als er selbst. Diese Selbsttranszendenz hat auch die Dimension des Staunens – das Staunen vor dem Großen, zum Beispiel vor einem Sonnenaufgang, vor der Schöpfung, vor etwas wirklich Beeindruckendem, das schon immer da war und auch nach uns weiterbestehen wird.

Der amerikanische Psychiater und Genetiker Robert Cloninger hat dies neurowissenschaftlich bestätigt. Gesund oder krank, frei oder unfrei, beziehungsfähig oder beziehungsunfähig – all dies unterscheidet sich durch die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz. Viktor Frankl fasst dies prägnant zusammen: „Und nur in dem Maß, in dem der Mensch solcherart sich selbst transzendiert, verwirklicht er auch sich selbst im Dienst an einer Sache. Ganz er selbst wird er, wo er sich selbst übersieht und vergisst.“

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