Doris Zölls

Für immer Gegenwart und Vergangenheit zu transzendieren, ist der Leib der vollkommenen Weisheit. Die Gegensätze zu transzendieren, bringt eine neue Dimension hervor. Wenn wir in den Gegensätzen gefangen bleiben, wenn wir das eine im Gegensatz zum anderen sehen, sind wir hin- und hergerissen. Wir sind zerrissen. Die neue Dimension zu erfahren, das Transzendieren von Vergangenheit und Gegenwart, die Gegensätze zu übersteigen, bringt den Körper der vollkommenen Weisheit hervor. Diese Weisheit wird im Herz-Sutra „Prajnaparamita“ genannt. Sie wurzelt nicht im Intellekt, sondern im Herzen, in unserer Mitte, wenn unser Herz sich öffnet. Diese Weisheit zeigt sich als Mitgefühl, das Mitleid bei weitem übertrifft, da Mitgefühl die wechselseitigen Abhängigkeiten erkennen lässt. Alles steht miteinander in Beziehung, doch wir begrenzen diese Abhängigkeiten auf den Gedanken von Ursache und Wirkung.

Mit dem Gedankengebäude von Ursache und Wirkung dürfen wir nicht glauben, die Welt verstehen zu können. Die Wirklichkeit ist viel größer als das, was wir mit unseren alltäglichen Augen sehen. Mitgefühl wird im Moment erfahren, in dem es weder Vorliebe noch Abneigung gibt. Es geschieht jenseits der Zeit und kann nur beschrieben werden, ohne das Erleben annähernd wiederzugeben. Rinzai nennt es den Körper der vollkommenen Weisheit, den wir erfahren, sobald wir die Gegensätze transzendieren, und er fährt fort: „Dieser Körper ist wie die drei Berge, die von zehntausend Schranken durchschnitten sind.“

Mit den drei Bergen sind vermutlich die mythischen Berge Penglang Lai, Fangzang und Yingzhu gemeint, die auf einer Insel liegen und schwer zugänglich sind. So wie diese Berge schwer zu erreichen sind, ist auch der Körper der vollkommenen Weisheit schwer zu erreichen, es sei denn, man durchschneidet die zehntausend Schranken. Damit meint Rinzai all unsere Konditionierungen, Konzepte und Muster, die unzählig sind. Doch wie könnten diese Muster jemals durchtrennt werden? „Ho!“, ruft Rinzai als Antwort. Nur im Augenblick lösen sich die zehntausend Schranken. Die transzendente Weisheit liegt nicht in ferner Zukunft, sie erscheint nicht durch Ursache und Wirkung, nicht durch „wenn … dann“. Die transzendente Weisheit ist der Augenblick, sie ist jetzt: „Ho!“ Jetzt! Das Jetzt durchbricht alle Schranken und verkörpert die vollkommene Weisheit. Rinzai und Daiji begegnen einander auf Augenhöhe.

Erschienen in TRANZENDENZ,

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